BLOG: 12.01.2022

Materialien im Büro, die nicht krank machen

Health Style im Büro

Sie sind nicht direkt wahrzunehmen und selten spüren oder schmecken wir sie. Aber manchmal riechen wir sie: Schadstoffe in der Luft. Wenn Sie das jetzt lesen, wissen Sie instinktiv, dass uns diese unsichtbaren Schwebeteilchen krank machen können. In Deutschland wird schon einiges dagegen getan: Es gibt immer strengere Umweltschutzauflagen. Dennoch: kennen wir alle Quellen für dreckige Luft? Oder wird erst das Smart Office 4.0 Schadstoffe melden, wenn Sensoren VOC, Imprägnierungsstoffe, Kleber und andere Chemieprodukte wahrnehmen, die beim stundenlangen Einatmen im Büro Körper und Geist angreifen?

VOC (Volatile Organic Compounds) sind gasförmige Kohlenstoffverbindungen, wie beispielsweise Alkohole, Terpene oder Aldehyde, die aus allen möglichen Chemieprodukten entweichen. VOC sind sehr reaktionsfreudig und können in vielen Gestalten durch die Luft schweben. Sie können zum Beispiel mit anderen Gasen reagieren, sodass kleinste Feinstaubpartikel entstehen. Die Folgen für die Gesundheit: In hoher Konzentration reizen sie die Augen und Schleimhäute, machen müde oder verursachen Kopfschmerzen und Schwindel. Allergiker und sensible Menschen reagieren besonders stark.

Ich habe dazu GRAEF - Innenarchitektin Jacqueline Girod befragt: „Beim Thema Gesundheit gibt es wirklich viele Faktoren, die bei der Büroplanung wichtig sind. Wenn es jetzt speziell um Materialien geht, kommen mir auch sofort die VOC in den Sinn. VOC treten vor allem kurz nach der Fertigstellung eines Gebäudes oder von neuen Möbel auf, daher sollte man am Anfang mehr Lüften. Ein deutliches Zeichen, dass eine Schadstoffbelastung gegeben ist: ein starker, oft unangenehmer Geruch ist wahrnehmbar.

 

Nachhaltigkeit steht am Anfang jeder Büroplanung

Welche Auswirkung hat Ihr Schreibtisch, der Bodenbelag und das Akustikpanel in Ihrem Büro auf Ihre Gesundheit und – um die Frage aus der Vogelperspektive zu beantworten – auf die Umwelt? Angespornt durch immer strengere Vorschriften, komplexere Zertifizierungen und die steigenden Forderungen einer umweltbewussteren Belegschaft in einer wachsenden Umweltkrise, entscheiden sich mehr und mehr Arbeitgeber für nachhaltigere Büromöbel. Die Umweltauswirkung eines Möbelstücks hängt davon ab, was ganz am Anfang seines Lebens passiert. Die Verwendung gesundheitsschädigender Materialien in der Büroplanung stellt keinen Unfall dar, sondern ist die Folge von Entscheidungen, die in der Planungsphase getroffen werden. Indem wir unsere Denkweise ändern und neue, nachhaltige und schadstoffarme Materialien und Technologien nutzen, können wir sicherstellen, dass Abfall und Umweltverschmutzung gar nicht erst entstehen.

 

Die Kultur der schnellen Möbel

Es klingt wie ein Auszug aus der TV-Doku ‚Fast Fashion‘. 80% aller europäischen Büromöbel landen laut Waste & Resources Action Program (WRAP) auf der Mülldeponie. Billige Büromöbel repräsentieren eine Kultur, die auf Trends basiert und kurze, wiederkehrende Kaufzyklen propagiert. Diese Möbel bestehen aus:

- billigen Materialien aus nicht nachhaltigen Quellen (z.B. Spanholz und nicht recyclebare Kunststoffe)

- Herstellungsverfahren, die hohe CO2-Emissionen erzeugen (z.B. Laminate und chemische Harze)

- Möbelteilen, die aus Übersee kommen und einen enormen ökologischen Fußabdruck hinterlassen

- Materialien, die am Ende ihres Lebenszyklus nicht recycelt werden können

 

Schadstoffe in Innenräumen: ein unterschätztes Problem

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Die Fachzeitschrift The Lancet (Landrigan, 2017) schätzt, dass die Luftverschmutzung in Innenräumen weltweit für etwa neun Millionen Todesfälle pro Jahr verantwortlich ist. Während das Verkehrswesen stetig sauberer wird, dürften die anderen Schadstoffquellen nicht außer Acht gelassen werden, heißt es im Artikel. Die VOC-Menge, die in den USA aus Konsum- und Industrieartikeln stammt, sei zwei- bis dreimal so hoch, wie bisher angenommen. Zusätzlich sei die Konzentration von Schadstoffen in Innenräumen oft zehnmal so hoch wie draußen. Jessica Gilman von der US-Klimabehörde NOAA kritisiert in einem Artikel von ScienceDaily.com, dass „chemische Produkte, die in gängigen Lösungsmitteln verwendet werden‚ ‚buchstäblich dazu gemacht sind, zu verdampfen‘“. Das gelte für viele Reinigungsmittel, Materialschutzmittel und Kosmetikprodukte, wie Parfums.

 

Innenarchitekturtrends für Puristen

Designer experimentieren bei ihrer Arbeit zunehmend mit nachhaltigen Materialien; Sie verwenden recycelten Kunststoff oder Naturfasern, wie Hanf. Biomaterialien werden aus biologisch abbaubaren Lebewesen hergestellt. Bei der Materialwahl eignen sich nachhaltige Produkte gut für Innenarchitektur-Trends, wie Biophilia und Japandi, die sich durch eine minimalistische und natürliche Ästhetik auszeichnen und gleichzeitig Umweltvorteile wie natürliche Kühlung und Kohlenstoffspeicherung bieten. Beispiele für diese Materialien sind Holz, Papier und Biokunststoffe aus Pflanzen wie Algen. Diese Materialien werden verwendet, um natürlich aussehende Innenräume zu schaffen. Zusätzlich bieten sie ökologische Vorteile wie natürliche Kühlung, Atmungsaktivität und Kohlenstoffspeicherung.

 

Biophiles Design

Biophiles Design bedeutet, die Natur in Gebäude zu holen und die Grenzen zwischen Architektur und Natur in gewissem Maße verschwimmen zu lassen. Pflanzen im Büro sind ein wichtiges Element davon, aber längst nicht alles. Wenn der Rest der Büroeinrichtung karg und trist ist, macht eine halb vertrocknete Fächerpalme auch keinen großen Unterschied. Im Kern sollen die Mitarbeiter viel Tageslicht und natürliche Luft zur Verfügung haben und den Blick nach draußen richten können. Ist das nicht möglich, ändern sich zumindest Beleuchtung und Temperatur so, dass sie den natürlichen Gegebenheiten im Tages- und Jahresablauf entsprechen.

  

Minimalismus trifft Funktionalität

Japandi ist ein weiterer Innenarchitektur - Trend, der inzwischen für Gewerbe- und Wohngebäude unverzichtbar geworden ist. Kurz gesagt trifft das gemütliche Hygge Gefühl auf die klaren Linien des Wabi Sabi - als perfekter Interior-Trend für Puristen. Das strahlt im Büro eine Harmonie aus, die ein Gegenpol zum bilder- und videohektischen Alltag der Außenwelt darstellt.

 

Materialien, die nicht krank machen

Es gibt akustische Wandpaneele aus Myzel, dem unterirdischen Teil des Pilzes. Myzel ernährt sich von Abfallbiomasse wie Sägemehl und nimmt beim Wachsen Kohlenstoff auf. Es wird zunehmend für Produktverpackungen und Isolierungen verwendet. Es gibt Bodenbelagsprodukte aus Bioharzen und landwirtschaftlichen Abfällen. Natürliche Materialien, hergestellt aus Salz, Sonnenblumen und Algen wurden auf der Innenseite von Frank Gehrys Salztum für die Luma Stiftung in Arles verwendet. Materialien wie diese reihen sich in eine wachsende Palette experimenteller Biomaterialien ein, die in Bauprojekten verwendet werden. 

Aufzugslobbys wurden mit Tausenden von Salzplatten verkleidet, die in den alten Salinen im nahe gelegenen Naturschutzgebiet Camargue im Rahmen eines Projekts hergestellt wurden. Algen aus der Camargue, dem Delta der Rhône, wurden für den Innenausbau der Toiletten des Gebäudes verwendet, während Sonnenblumenstängel zu Akustikplatten für die Bar verarbeitet wurden. Die Materialien wurden vom Atelier Luma entwickelt, einem „zirkularen Designlabor“ mit Sitz auf dem riesigen Campus Luma Arles in Südfrankreich. In Großraumbüros ist die Akustik eines der größten Herausforderungen. Man kann also Polystyrolschaum oder ein anderes Material aus fossilen Brennstoffen verwenden. Oder Sie verwenden die Reste von Sonnenblumen. Das Material besteht aus einer Mischung des Marks aus dem Inneren des Sonnenblumenstiels, Fasern von der Außenseite des Stiels und Proteinen aus den Blüten der Sonnenblume.

 

Es gibt viel zu tun

„Viele Menschen denken bei der Geruchsbelästigung in Innenräumen an neue Teppichböden – und das ist noch immer ein starker Verursacher von VOC.", erklärt GRAEF Innenarchitektin Jacqueline Girod. "Was jedoch viele nicht wissen: dafür ist vorrangig die Verklebung des Teppichs mit dem Fußboden und weniger der Teppich selbst verantwortlich. Die Firma Interface hat diesbezüglich ein tolles Produkt auf den Markt gebracht, um das zu verbessern: Tac Tiles. Dieses Produkt setzen wir inzwischen vermehrt ein und haben sehr viel positives Feedback von unseren Kunden bekommen. Neben der Verbesserung der Raumluft ist man sehr viel flexibler, den Teppich zu tauschen, falls doch mal ein Kaffee-Fleck ‚zu viel‘ am Boden landet. Mit dieser Art Teppichfliese kann man auch rückstandsfreier nach der Mietdauer aus einem Objekt ausziehen.“

Jacqueline Girod kritisiert, dass das Thema Nachhaltigkeit zu lange von der Büromöbelbranche nicht ernst genommen wurde: „Man hat über Greenwashing gelächelt oder den Kopf geschüttelt, aber nicht viel unternommen, um eine branchenübergreifende Zusammenarbeit zwischen Herstellern zu forcieren. Das Cradle-to-Cradle Prinzip zieht bei immer mehr Produktherstellern ein, trotzdem hinkt das System, weil es wenig bringt, wenn Hersteller A dem Cradle-to-Cradle Prinzip und ökoeffizienzen Kriterien folgt, aber Hersteller B nicht, dessen Produkt auf jenes von Hersteller A geklebt wird. Ich würde mir wünschen, dass der Einsatz schadstofffreier Materialien schneller zum Thema wird. Die Kunden wollen es so – das ist nicht mehr aufzuhalten.“