BLOG: 29.11.2022

Hölle, dein Name ist Homeoffice

Recruiting 2.0

Nach und nach kehren in den Unternehmen die Mitarbeiter aus dem Homeoffice in die Büros zurück. Eine große Erleichterung, wie sich vielerorts zeigt. Denn jetzt werden die Schattenseiten sichtbar, die eine permanente Vermischung von Privatleben und Arbeit mit sich brachte.

Wenn ein alter Bekannter sich nach langer Zeit bei mir meldet, hat er meistens etwas auf dem Herzen. Beim Treffen in einem Restaurant kam er noch während der Vorspeise auf den Punkt. Sein Elend manifestierte sich in einem Satz: Meine Frau ist jetzt im Homeoffice. Ich kannte seine Wohnung noch aus früheren Besuchen. Aber jetzt sei sie nicht wiederzuerkennen, so der Bekannte.

 

Apokalypse am Esstisch

Das, was früher die Küche war, hat sich in ein Büro verwandelt. Am Fensterbrett stapeln sich die Unterlagen. Der Esstisch ist mal Esstisch, mal Arbeitstisch. Locher und Hefter bekommen Gesellschaft von Salzstreuer und Zuckerdose. Der Bekannte hat jeden Freitag frei. Aber seine Frau ist nahezu die komplette Woche im Homeoffice. An Freitagen erlebt er regelmäßig die Apokalypse mit. Seine Frau am Esstisch. Ein Call wurde verschoben, sie nutzt die Zeit, um sich um die Waschmaschine zu kümmern. Er bietet Hilfe an, sie lehnt ab. Dann der verspätete Call. Er  wird hektisch aus der Küche verbannt, obwohl er sich gerne noch schnell einen Kaffee machen würde. Geht aber nicht, weil der wichtige Kunde am Telefon ist. Niemand darf die Küche betreten. Denn die ist jetzt Büro.

 

Dann heirat´ doch dein Büro

In die Stille klingelt der Paketbote hinein. Er wartet, aber ungeduldig. Sie muss was unterschreiben, wird aus dem Call geholt, unterschreibt und eilt zurück. Bevor sie die Tür schließt,  hört er ihre Entschuldigungsworte an den Kunden mit. Es ist Mittagszeit. Die Küche darf wieder Küche sein. Aber nur kurz, denn um zwei Uhr ist der nächste Call. Die Räumerei beginnt von neuem. Um um drei kommt dann das Kind aus der Schule. Der Zeigerfinger liegt über dem Mund. Nein, du darfst da gerade nicht rein. Mama hat einen Call. Jeden Freitag Abend ist der Bekannte erledigt. Fix und Foxi. Ob ich noch diesen Schlager aus den 1980er Jahren kenne, fragt er. Den von Katja Ebstein. Dann heirat doch dein Büro. Du liebst es doch sowie. Kommt mir irgendwie bekannt vor, sage ich. In dem Song klagt eine Frau darüber, dass ihr Mann nur noch im Büro oder fast nie zuhause ist.

 

Die Decke auf dem Kopf

Der Bekannte lebt in den 2020er Jahren in einem diametral umgedrehten Szenario. Die Frau ist zuhause, er klagt darüber. Am Abend sagt er ihr: Wie wäre es, wenn du dir einen CoWorking Space suchst. Dann ist die Wohnung wieder zum wohnen da und du kannst dich auf deine Arbeit konzentrieren, ohne ständig durch alles mögliche herausgerissen zu werden. Sie lehnt ab. Sie hat sich daran gewöhnt und es sei praktisch, diverse Sachen in der Wohnung in Arbeitspausen erledigen zu können. Ob das alle anderen fertig macht? Kann sein. Aber sie will es so. Und was ist mit Montag bis Donnerstag? Fällt ihr da nicht die Decke auf den Kopf?

 

Homeoffice ist der Zwillingsbruder des Privatlebens

Vermisst sie es nicht, mit Kollegen mal einen Kaffee zu trinken oder gemeinsamem Mittag zu essen? Den üblichen Flurfunk? Manchmal sogar das Lästern und die gute alte menschliche Interaktion mit Kollegen? Nervt es sie nicht, ständig aus Calls heraus müssen zu müssen, um Haushaltsgeräte in Gang zu setzen, Handwerker einzuweisen oder Pakete für sich selbst oder die Nachbarn entgegenzunehmen? Die Lieferanten sind ja nicht doof. Wenn sie mitkriegen, das eine bestimmte Partei zu einer bestimmten Zeit zuhause ist und regelmäßig die Tür aufmacht, wird man schnell zum Postamt für das ganze Haus. Homeoffice ist der Zwillingsbruder des Privatlebens. Sein Gesicht ist anfangs freundlich, wird aber mit der Zeit zur Fratze. Denn der Zwillingsbruder akzeptiert keine Grenzen. Mischt sich überall ein. Bringt alles durcheinander.

 

Im Bademantel am Laptop

Der Bekannte hat sich schon den Mund fusselig geredet. Das Loblied vom Weg zur Arbeit gesungen. In der Tram sieht man andere Menschen. Der Weg zur Arbeit trennt den Tag zwischen Freizeit und Arbeit. Beim Homeoffice gibt es keine Trennung. Alles fließt, alles stockt. Es gibt Selbstständige, die nach dem Duschen im Bademantel am Laptop sitzen. Und sich Abends wundern, dass sie immer noch den Bademantel anhaben. Homeoffice ist ein Produktiviäts-Killer. Arbeitsatmosphäre kommt dort nicht auf. Disziplin ohnehin nicht. Klar spart man sich das Geld für die Anfahrt zur Arbeit.

 

Es klingelt an der Tür

Aber dank der hohen Energiepreise verpufft dieser Vorteil. Im Büro zahlt das Unternehmen für die Heizung. Zuhause man selbst. Denn hier ist man sein eigener Chef. Herr über seine Zeit. So die Illusion, der sich viele während der Lockdown-Phasen hingegeben haben. In Wahrheit ist Homeoffice eine Sklaverei. Ein Zustand des Mäanderns, um alles richtig machen zu können. Und wenn man allen Verwerfungen zum Trotz doch mal einen Moment des Flows erwischt hat, klingelt es an der Tür. Rund 1,4 Millionen Freiberufler arbeiten derzeit in Deutschland. Die kannten das Arbeiten zwischen Küchentisch und Wäscheberg schon vor der Pandemie. Aber so manchen Bademantel-Unternehmer hat CoWorking aus der Home Depression erlöst.

 

Keiner sieht, was geleistet wird

In Wahrheit ist das Homeoffice keine Befreiung, sondern ein erheblicher Stressfaktor. Der nach dem Abflauen der Pandemie unnötig wird. Oder hat jemand schon mal eine glückliche Mutter gesehen, die mit ihrem Kind auf den Schultern vor dem Computer sitzt? Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine ausgeglichenere Work-Life-Balance. Sowas wird dem Homeoffice gern nachgesagt, klappt aber selten. Die Realität sieht vielerorts anders aus: Stress, Unzufriedenheit und Angst. Das Gefühl, dass die Wände auf einen zukommen. Überforderung. Selbstzweifel. Versumpfen, so nennt der Bekannte das. In Wohlfühlklamotten arbeiten und ein schlechtes Gewissen haben, weil es sich nicht wie Arbeit anfühlt. Warum nicht gleich im Bett bleiben und dort arbeiten? Sieht ja keiner. Übrigens auch nicht, was geleistet wird.

 

Schlechte Verbindung im Küchenbüro

Das Homeoffice ist der Turbo für die Vermischung von Arbeit und Privatleben. Irgendwann verliert man dann auch den Überblick über die Kosten. Die Frau des Bekannten will sich jetzt einen Wlan-Verstärker für 100 Euro anschaffen, weil die Verbindung im Küchenbüro so schlecht ist. Ob den dann wohl ihr Arbeitgeber bezahlt? Es gibt keine Antwort auf diese Frage. Denn der Wlan-Verstärker sei ja eine private Anschaffung, mit der sie ihren Arbeitgeber nicht belasten will. Der Freund schüttelt nur noch mit dem Kopf. Er ist so ratlos wie ich.

 

Konzentrationsprobleme und Schlafstörungen

Klar macht Homeoffice Sinn. In seltenen Fällen. Aber die Zahlen, Fakten und Hintergründe sind ziemlich eindeutig und fallen nicht unbedingt positiv für die Fürsprecher des Homeoffice aus. Laut dem Fehlzeiten-Report der Krankenkasse AOK leiden Homeoffice-Kräfte unter stärkeren psychischen Belastungen. 73 Prozent der Befragten, die häufig im Homeoffice arbeiten, fühlten sich erschöpft. Bei Beschäftigten, die ausschließlich im Büro tätig waren, waren es nur 66 Prozent. Über Wut und Verärgerung klagten nahezu 70 Prozent der Menschen, die häufig von zu Hause arbeiteten. Im Büro waren es 59 Prozent. Lustlosigkeit, Konzentrationsprobleme und Schlafstörungen betrafen Menschen im Homeoffice häufiger als solche, die im Büro arbeiten.

 

Das große Aufatmen

Der Bekannte hat sich drei Wochen nach unserem Restaurantbesuch wieder gemeldet. Seine Stimme klang ganz anders, dachte ich. Der Alptraum ist vorbei, begann er gleich. Die Medienagentur, in der seine Frau arbeitet, holt die Leute mit sanftem Druck in die Firma zurück. Homeoffice sei von der Regel zur Ausnahme deklariert worden. Die bisher großzügig ausgelegte Prozent-Regelung sei aufgehoben. Großes Aufatmen, sagte er. Er mache sich gerade einen Kaffee. In der eigenen Küche. Unglaublich.