BLOG: 09.08.2023

„Die Bürogestaltung ist auf einem Innovationsplateau gefangen“ - Ein Interview mit Markus Albers

New Work

Der Arbeitsexperte Markus Albers hat sich vom Verfechter der mobilen digitalen Arbeitswelt zu einem ihrer Kritiker entwickelt. Er fordert eine Transformation der Gestaltung heutiger Büros, die sich seiner Auffassung nach für die neue Arbeitswelt nicht mehr eignen.

GRAEF Office: Corona ist beinahe Geschichte, nach und nach kehren Menschen ins Büro zurück. Und doch ist nichts mehr wie zuvor. Studien zufolge schätzt etwa die Hälfte die lauschige Arbeit im Home-Office, während die andere Hälfte die Vermischung von Job und Privatleben und unregulierte Arbeitszeiten beklagt. Ist das Homeoffice ein Auslaufmodell?

Markus Albers: Es gibt einen gewissen Trend, der vom Homeoffice zurück ins Büro führt. Das hat verschiedene Gründe. Das eine ist, dass vielen Mitarbeitenden klar wurde, dass man am Küchentisch oder im Kinderzimmer nicht immer gut arbeiten kann und zu stark abgelenkt wird. Der Wunsch, zumindest einen Teil der Woche wieder im Büro zu verbringen, ist gewachsen. Auf der anderen Seite sagen auch viele Arbeitgeber, dass die Leute langsam mal wieder ins Büro zurückkommen sollen.

GRAEF Office: Was ist der Haken daran?

Markus Albers: Obwohl das Bedürfnis auf beiden Seiten da ist, sieht man viele leere Büros. Und warum sind sie leer? Weil sie sich so, wie sie jetzt gebaut sind, für die neue hybride Arbeitswelt nicht gut eignen. Ich sehe mir regelmäßig die Aushängeschilder moderner Bürogestaltung an, war zum Beispiel neulich im neuen Springer-Gebäude in Berlin oder den Büros von XING in Hamburg, beides zweifellos tolle moderne Büros. Und beide, ehrlich gesagt, ganz schön leer. Wenn die Leute nicht mal da hingehen, fragt man sich schon, woran das liegt.

GRAEF Office: Was ist deine Erklärung?

Markus Albers: Ich glaube, dass all diese noch vor Corona gestalteten Räume nicht gut in der neuen hybriden Arbeitswirklichkeit funktionieren.  Wir haben uns angewöhnt, synchron zu kommunizieren, also zeitgleich – und das vor allem in Form von Videokonferenzen, Teams, Zoom, Google Meet … Wenn ich jetzt mich aufraffe und aus dem Homeoffice in das Büro gehe, dann ist es egal, wie schön das Büro ist, wenn ich dort doch wieder den ganzen Tag in mein Laptop rede. Dann wird das Büro zum Call-Center. Dafür sind die meisten Büros aber nicht gebaut. Dazu bräuchte man Flächen, die aus lauter Telefonzellen bestehen – und wer würde da gerne hingehen.

GRAEF Office: Und diese Boxen werden im Unternehmen ja auch ungern genutzt. Oft sind die da, weil irgend jemand es beschlossen hat, dass die angeschafft werden müssen, ohne dass das vorher getestet zu haben.

Markus Albers: Ach, ich sehe schon, dass sie benutzt werden – aber eben aus der Not heraus, im Großraum keine Calls machen zu können, weil die Nachbarn auch die ganze Zeit reden. Aber ich gehe doch auch ins Büro, um Leute zu treffen, sich auszutauschen und ein Sozialleben zu haben. Wenn ich mich den ganzen Tag in eine Telefonzelle einschließe, um dort meine gewohnten Teams-Calls zu machen und dann abends wieder nach Hause gehe, dann hätte ich das auch im Homeoffice machen können. An der Stelle knirscht es. Darum müssen wir unbedingt wieder lernen, mehr asynchron zu kommunizieren, also per Mail, Chat, Miro, etc. Und wir müssen gleichzeitig die Büros, wie wir sie heute haben, überdenken. Sie eignen sich einfach für die neue Arbeitswelt nicht so gut – denn die Videocalls werden nicht wieder weggehen. Im Gegenteil: „Voice“, wie die Tech-Firmen das nennen, also unsere Stimme als Input, wird an Bedeutung noch gewinnen.

GRAEF Office: Was wären die wichtigste drei Punkte, die geändert werden müssen?

Markus Albers: Ich behaupte: Die Bürogestaltung ist auf einem Innovationsplateau gefangen. Ganz viele kluge Menschen machen sich seit Jahren Gedanken, wie das perfekte Büro aussehen müsste. Trotzdem nehmen die Leute das nicht richtig an. Darum war meine Frage, wie man dieses Innovationsplateau überwinden und ganz neue, überraschende Ideen entwickeln kann. Wenn in Büros künftig auch AI-Tools eine wichtige Rolle spielen werden, dann können wir doch einfach einmal die AI selbst zu dem Thema befragen. Dazu habe ich mit Chat GPT und Midourney versucht, Konzepte für neue Büros zu konzipieren und zu visualisieren. Dabei sind verschiedene Ansätze entstanden – drei fand ich am spannendsten:

- Augmented Reality: Wenn AR-gestützte Geräte es den Mitarbeitern ermöglichen, digitale Objekte in Echtzeit zu visualisieren und zu manipulieren und so die Zusammenarbeit und Kreativität zu verbessern, erfordert dies die Gestaltung von Räumen, die AR-Technologien unterstützen können, und die Integration von AR-Geräten in die Arbeitsumgebung.

- Voice Interaction: Mitarbeiter werden zunehmend über Sprachbefehle mit KI-gesteuerten Geräten interagieren. Dazu braucht es die Gestaltung von Arbeitsplätzen, die die Sprachinteraktion unterstützen, zum Beispiel dank Schalldämmung sowie akustischer Maßnahmen zur Minimierung von Lärm und Ablenkung.

- Autonomous Mobility: KI-gesteuerte Roboter können Möbel und Geräte bewegen, dynamische Trennwände schaffen und Arbeitsbereiche reinigen und pflegen. Dies erfordert die Gestaltung von Räumen, die die autonome Mobilität unterstützen, zum Beispiel durch die Verwendung intelligenter Materialien und flexibler Konfigurationen.

Das sind alles Konzepte, die Chat GPP nach meiner Anleitung entwickelt hat. Und dann habe ich Midjourney genutzt, um diese Konzepte zu visualisieren. Dabei stellte sich  der dritte Ansatz als besonders spannend heraus: modular veränderbare Büros, in denen AI-gesteuerte Roboter die Möbel ständig neu gruppieren. Diese generierten Bilder sahen wirklich neuartig aus, auch ein bisschen verstörend – darauf wäre ein Mensch alleine nie gekommen.

GRAEF Office: Das Bild, auf dem die KUKA-Roboter an Schreibtischen saßen?

Markus Albers: Ob die Roboter von Kuka waren, weiß ich gar nicht – aber ja: Sie sahen so aus. Davon gibt es verschiedene Versionen. Auf einem Bild sah man modulare Möbel, die wie Puzzlestücke ständig neu im Raum angeordnet werden können. Offen gesagt: Vielleicht ist das auch totaler Quatsch – das sollen Expert:innen entscheiden, ich bin kein Designer. Aber mein Plädoyer wäre, dass diese vielen klugen Bürogestalter sich diese AI-Tools zu eigen machen, um auf radikal neue Gedanken zu kommen, um nicht immer im eigenen Saft zu schmoren und immer auf die mehr oder weniger selben Ideen zu kommen. Denn, mal ehrlich: All diese so genannten neuen Arbeitswelten, die derzeit entstehen, sehen schon ziemlich ähnlich aus. Fortschrittliche Architekturbüros wie Zaha Hadid machen das übrigens schon. Also wenn wir das Büro neu erfinden wollen, tun wir das vielleicht besser mit AI zusammen.

Roboter im Büro

GRAEF Office: Lässt sich schon heute etwas konkretes daraus ableiten?

Markus Albers: Beispielsweise Büros, die dramatisch mehr Akustikdämmung und Rückzugsmöglichkeiten haben. Weil wir einfach viel mehr reden werden, miteinander, in den Rechner hinein oder eben auch mit AI. Das geht in den meisten Großraumbüros nicht gut. Oder wie wäre es – wie im Beispiel oben – mit modularen Büros, die vielleicht morgens ein Frühstücksraum sind, nachmittags ein Workshopspace und abends eine Bar. Und wir könnten einfach sagen, bitte AI, bau mal eben das Büro um. 

GRAEF Office: Bitte Büro, baue uns schnell einen Ort für die Community, die Leute sind so einsam. Kann Design denn dabei helfen, dass Leute wieder öfter und mehr zusammen kommen im Büro?

Markus Albers: Genau das wird ja heute schon versucht. Büro sollen Orte des Austauschs sein, und nicht unbedingt der konzentrierten Arbeit. Konzentriert arbeiten kann ich auch woanders. Aber im Büro, da bin ich sozial, da habe die viel zitierten Watercooler-Momente. Dafür sind ja sehr viele moderne Büros schon optimiert. Da gibt es Agoras und Sofaecken. So sehen Büros vielerorts aus. Nützt aber nichts, wenn die Leute keine Zeit haben, diese Einrichtungsideen zu nutzen, weil sie unter Stress und Arbeitsverdichtung leiden. Ich kann die schönsten sozialen Bereiche und die besten Kaffeemaschinen haben, wenn am Ende doch wieder jeder vor seiner Kiste sitzt.

GRAEF Office: Das Entscheidende ist, dass Leute auch da sind. Viele sagen, ich würde ja gerne in das Büro zurück, aber wenn da keiner da ist, dann kann ich auch zu Hause bleiben.

Markus Albers: Genau. Das ist der Teufelskreis. Dann geht man einmal ins Büro, erlebt, dass keiner da ist, weil alle sowieso den ganzen Tag ihre Calls machen müssen. Beim nächsten Mal überlegt man sich dann, nehme ich wirklich den Weg auf mich? Um aus diesem Teufelskreis heraus zu kommen, wäre meine Hoffnung, dass wir jetzt die Büros tatsächlich auf eine überraschende Art neu gestalten können, mit Hilfe von AI.

GRAEF Office: Das AI-generated-Office heißt aber nicht Metaverse, oder?

Markus Albers: Vor einem Jahr hieß es, wir setzen uns alle Brillen auf und sind in der Mark-Zuckerberg-Version eines virtuellen Büros. Heute sieht man an den Zahlen, dass das Metaverse größtenteils leer ist, das wollen die Leute nicht. Vielleicht ist die Augmented Reality, die Apple ja mit der Vision Pro gezeigt hat, der bessere Weg, weil ich da nicht gänzlich in der künstlichen Welt, sondern noch in der realen Welt bin.

GRAEF Office: …in der Augmented Reality…

Markus Albers: Die halte ich für realistischer. Allerdings würde ich hier behaupten, dass Augmented Reality-Brillen wie die Vision Pro sich wiederum das Homeoffice noch produktiver machen, wie Apple in den Teaser-Videos auch gezeigt hat. Ich kann Teams und Excel groß an die Wand werfen, während ich zu Hause auf dem Sofa sitze. Da wird das Homeoffice noch attraktiver, das hilft dem Büro nicht unbedingt.

GRAEF Office: Es gab ja vor einigen Jahren eine sehr große Euphorie um die ganzen neuen Arbeitsmodelle und du fandest das auch gut, aber seit deinem Buch „Digitale Erschöpfung“ bist du skeptischer geworden.

Markus Albers: Ich bin enttäuscht davon, was daraus geworden ist, weil es in diesem New-Work-Gedanken große Freiheitsversprechen gab: Ihr müsst nicht mehr jeden Tag ins Büro gehen, habt nicht immer den gleichen Weg zur Arbeit. Wenn man sich von diesem Ballast befreit hat, wird man produktiver, kann die Arbeit von acht Stunden in fünf Stunden machen. Leider ist durch die digitale Verdichtung und die vielen neuen Tools das Gegenteil eingetreten: Wir arbeiten immer, haben kaum noch Pausen mehr, weil jede Lücke im Kalender sofort von Kollegen, Vorgesetzten oder Kunden gefüllt wird.

GRAEF Office: Jeder ist online, jeder ist immer erreichbar, auch im Urlaub.

Markus Albers: Arbeit ist zunehmend entgrenzt, weil wir ständig erreichbar sind. Das war nicht das, was ich und viele andere sich erhofft hatten. Ich hatte neulich einen Vortrag vor einem internationalen Publikum, habe ihnen das schöne deutsche Wort „Feierabend“ gezeigt und erklärt, dass das nicht nur ein Wort, sondern ein kulturelles Prinzip ist, weil ja hinter jedem Begriff eine Idee steht. Nämlich das Prinzip, dass man nach Hause geht und die Arbeit vorbei ist. Da haben die Leute sehr gelacht und waren begeistert, dass es in Deutschland so etwas gibt. Weil es dieses Wort eben nicht überall auf der Welt gibt, und damit auch nicht die dahinterstehende Idee. Aber wenn meine Kinder einmal anfangen zu arbeiten, werden sie mich wahrscheinlich auch fragen, was das mal war, dieser „Feierabend“.

GRAEF Office: Feierabend ist eigentlich eine Kulturtechnik…

Markus Albers: Genau. Und ich glaube, wir brauchen neue Kulturtechniken, denn der Feierabend wird nicht zurück kommen, so wenig wie das klassische Büro zurückkommen wird oder die Stechuhr.

GRAEF Office: Und das Feierabend-Bier.

Markus Albers: Das Feierabend-Bier steht für gesellige Momente, die Teams zusammen schweißen. Dass man das jetzt mit Remote Drinks versucht, zeigt doch nur, wie groß das Bedürfnis der Menschen nach dem sozialen Austausch mit Arbeitskollegen ist.

GRAEF Office: Was die modernen Zeitfresser aber immer weniger zulassen.

Markus Albers: Ja. Die größten Zeitfresser sind diese synchronen Austauschformate, vor allem Videokonferenzen. Es gibt ja schon T-Shirts mit dem Aufdruck: Dieser Zoom-Call hätte eine Email sein können. Denn in der Tat ist das auch ein Reflex, gerade von Führungskräften, so wie sie früher immer gesagt haben, „ich rufe mal schnell ein Meeting ein, dann erzähle ich allen, was Sache ist und danach wissen alle Bescheid“. Das stimmte schon damals nicht unbedingt, aber der Chef oder die Chefin fühlte sich halt besser. Heute ist es so einfach geworden wie nie, digitale Meetings einzustellen, und darum sind unsere Kalender voll mit all diesen Dailys, Stand-Ups und Retros. Wenn du das den ganzen Tag gemacht hast, dann bist du abends digital erschöpft, wie ich das ja nenne, und hast trotzdem das Gefühl, dass du deine eigentliche Arbeit noch vor dir hast.

GRAEF Office: Ist denn ein konzentriertes Arbeiten im Büro möglich? Oder was würde dabei helfen, konzentrierter arbeiten zu können?

Markus Albers: Wir bei uns im Unternehmen haben Deep Work-Phasen vereinbart.  Zweimal die Woche. Da gibt es keine Termine, keine Calls, da sind wir eben nicht erreichbar. Das sagen wir auch unseren Kunden und das klappt eigentlich ziemlich gut.

GRAEF Office: Was hältst du von der These, dass die Zukunft des Büros in den Zusatzangeboten liegt, die uns das Leben leichter machen. Also Büro plus Zusatzangebot.

Markus Albers: Ich glaube an eine kluge Synchronisation von Arbeitsorten, an einen Dreiklang zwischen Homeoffice, dem physischen Büro, und dem, was die Soziologen Third Places nennen – dritte Orte, also Cafés, Coworking Spaces. Unternehmen sollten auch bei Workations viel offener werden, einige tun sich noch schwer, so etwas zuzulassen.

GRAEF Office: Wir wollen ja alle mehr Sport machen und gesünder essen. Warum soll das nicht während der Arbeit nicht möglich sein?

Markus Albers: Es gibt Beispiele von Unternehmen, die das tun. Die Sparda Bank Berlin baut ihre Filialen zu coolen Coworking Spaces um und sagt, die Mitarbeitenden  müssen nicht mehr jeden Tag in die Zentrale kommen. So etwas finde ich gut.

GRAEF Office: Wir auch. Vielen Dank für das Interview.

 

 

Roboter im Büro

Fotos: Patrick Desbrosses, Markus Albers / Midjourney

Interview GRAEF Office bei Guido Walter