BLOG: 31.08.2022

New Work 2022 - Insights und Kritik

Learnings aus New Work Konzepten

Als Arbeitgeber ist es wichtig, die Mitarbeiter dabei zu unterstützen, Stress abzubauen, Räume der Ruhe und Entspannung zu fördern und ein fehlertolerantes Umfeld zu schaffen, in dem wertschätzende Beziehungen abseits von Leistungsdruck gepflegt werden können. Ist das Storytelling vom feinsten und macht diese Forderung volkswirtschaftlich gesehen überhaupt Sinn?

Ein knappes Gehalt und viele Überstunden. Wenn Sie Phrasen, wie „Wir sind ein Unternehmen mit einer sozialen Mission“ oder „Wir stellen ein revolutionäres Modell am Markt vor und agieren wie ein Start-Up, da muss man eben mehr Zeit und Energie investieren“ hören, sollten Sie hellhörig werden. Ich habe diese Sätze als Idealist und Fahnenträger ignoriert. Schön blöd. Auch Feelgood-Garanten im Büro, wie ein Tischkicker oder ein Nap-Room sind Symbole für eine agile, dynamische und coole Arbeitsatmosphäre geworden. Der Schein trügt oftmals. „New Work“ klingt zeitgemäß und flexible Homeoffice- und Gleitzeit-Regelungen gehören zum Angestellten-Basisprogramm. Dazu die „Du“-Kultur. Flach(er) sind die Hierarchien in Unternehmen mit Alpha-Chefs trotzdem nicht geworden. Auf Basis der Philosophie des New Work-Begründers Frithjof Bergmann entstanden über die 40 Jahre seiner Bemühungen, die Arbeitswelt zu verändern, Manifesti. Diese reichen von selbst organisierten Teams bis zur Einführung von agilen Projektmanagement-Methoden und einer Werte-Charta, die über jedem Flexidesk hängt.

 

Great place to work

Aus einem Datensatz des Forschungs- und Beratungsinstituts "Great Place to Work" mit mehr als 500.000 Befragten aus fünf Jahren (2018 bis 2022) beschrieben die Befragten, was ihnen an ihrer Arbeit wichtig ist und was sie vom Arbeitgeber erwarten. "Guter Teamgeist" sticht unter den aus Hunderttausenden Beschreibungen heraus. Zusatzleistungen wie Gesundheits- und Weiterbildungsangebote stehen an zweiter Stelle. Je älter die Arbeitnehmenden werden, desto wichtiger werden zudem Eigenverantwortung und Selbstständigkeit im Job. Der Wunsch nach besserer Bezahlung rangiert mittlerweile recht weit unten. In der Pandemie haben über alle Industriesektoren hinweg zwei Aspekte an Bedeutung gewonnen: die Möglichkeit, auch von zu Hause arbeiten zu können, und eine vertrauensvolle Beziehung zum Arbeitgeber.

 

Freigeist versus Faulpelz

Die Meinung von Führungskräften und Mitarbeitern variiert jedoch gewaltig. Während ein Großteil der Mitarbeitenden mindestens drei Tage pro Woche von zu Hause arbeiten möchte, will die Chefetage sie an mindestens drei Tagen im Büro sehen. Auch die Bosse, die sich gerne als Kumpelchef in Turnschuhen präsentieren, sagen beim Feierabendbier Sätze wie: "Das Arbeiten am Küchentisch muss aufhören, holt die Faulpelze wieder ins Büro." 

Die meisten von uns haben in den letzten Jahren gelernt, die sicher wähnende Komfortzone zu verlassen. Wir haben uns in Resilienz geübt. Die Generation Z spricht auf Social Media Plattformen offen ihren Umgang mit psychischen Belastungen und Krankheiten an. Laut pwc tracken 44 Prozent der europäischen 18- bis 24-Jährigen ihre Gesundheit mit einer App am Smartphone. Und wenn den Digital Natives was nicht passt, organisieren sie sich über digitale Medien. Die Userzahlen von TikTok explodierten in den letzten Jahren. „O. K. Boomer“ war noch vor 2 Jahren Sinnbild eines Generationenkonflikts zwischen jung und alt – heute vermitteln Marken zwischen den Generationen im Rahmen geviffter Marketingkampagnen. Der US-Anbieter von nachfüllbarer Flüssigseife, gelo, ermöglicht Kindern mittels eines Cookies, der sich „The Parent Track“ nennt, auf den Endgeräten ihrer Eltern statt Werbeeinschaltungen Nachhaltigkeitstipps und den Aufruf anzeigen zu lassen, auf Einwegplastik zu verzichten.

 

Die große Resignation

Mit den zunehmenden Belastungen in der Pandemie hat die Leistungsfähigkeit des Einzelnen logischerweise abgenommen. Unternehmen, die sich um ihre Beschäftigten als Menschen und nicht nur als reine Arbeitskraft gekümmert haben, profitieren von einer hohen emotionalen Mitarbeiterbindung. Fehlende Aufstiegsmöglichkeiten, mangelnde Wertschätzung für die eigene Arbeit und eine schlechte Work-Life-Balance führen dazu, dass der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer den Job wechseln will. Global wird von einer „Great Resignation“ gesprochen – die Abkehr von einer arbeitdominierten Lebensführung. Der Wunsch nach wertschätzenden, flexiblen Arbeitsverhältnissen ist zu einem kompromisslosen Grundbedingung geworden.

 

Sozioökologische Verantwortung übernehmen

Beim Unternehmen Wildling haben Eltern und Personen, die Bedarf haben, Anspruch auf eine Arbeitszeitreduzierung um 25 Prozent; bei vollem Gehalt. Darüber hinaus übernimmt der Produzent von Barfußschuhen für alle der knapp 200 Mitarbeitern die Kosten für zwei Stunden tägliche Kinderbetreuung. Das entspricht dem New Work Gedanken, der auf der Webseite vermittelt wird: „Regeneratives Wirtschaften heißt für uns: ein wertschätzendes Miteinander und eine flexible Arbeitsweise, die sich dem Leben anpasst – nicht umgekehrt.“

 

Mehr Income durch Beteiligung

Zur Förderung unterrepräsentierter Stakeholder in der Musikindustrie hat Bacardi ein NFT-Mixtape entwickelt und auf dem Marktplatz STURDY.EXCHANGE als limitierte Edition verkauft. Das Programm „Music Liberates Music“ thematisiert, dass nur 2 Prozent der Musikproduzenten weiblich sind. Bacardi und der Produzent und Grammy-Award-Gewinner Boi-1da haben  drei  internationale weibliche Bands ausgewählt – Bambii, Denise De’ion und PERFXN –, in denen sie das Potenzial sahen, die Zukunft der Branche zu gestalten. Fans konnten einen von drei Originalsongs kaufen und erhielten damit einen Prozentsatz seiner Streaming-Lizenzgebühren. Je öfter die Tracks der drei Produzentinnen gespielt wurden, desto mehr verdienten die Fans - und natürlich auch die Interpreten - daran. Anstelle mit einem traditionellen Plattenvertrag Monate oder Jahre aufs Income zu warten, ermöglicht dieses Modell Fans als auch den Künstlerinnen, sofort am Erfolg der Musik teilzuhaben,. 

 

Sidepreneure: Neugründer mit Sicherheitsnetz

Es gibt eine wachsende Zahl an Sidepreneuren. Das sind nebenberufliche Unternehmer. Für viele Gründer stellt das Modell, sich ein zweites Standbein parallel zu einem Angestelltenverhältnis mit reduzierter Arbeitszeit aufzubauen, eine gute Gelegenheit dar, etwas auszuprobieren, ohne viel persönliches Risiko einzugehen. Der Angestelltenjob finanziert dabei den kompletten Lebensunterhalt. Das Voranbringen von unternehmerischen Projekten innerhalb des bestehenden Arbeitsverhältnisses wird Intrapreneurship beziehungsweise Binnenunternehmertum bezeichnet. Hier gilt es, diesen nebenberuflich Selbstständigen mit Produkten und Dienstleistungen sowie Zugang zu relevanten Stakeholdern, wie potenziellen Projektpartnern bis hin zur Finanzierung unter die Arme zu greifen. Denn es gilt, die Beziehung zu diesen Creators in ihrer gesamtheitlichen Vielschichtigkeit zu begreifen: Sie sind Konsumenten, Konkurrenz, aber auch impulsgebende Kooperationspartner.

 

Leistung als Anti-Begriff?

Markus Väth, einer der führenden Köpfe der New Work-Bewegung in Deutschland, setzt sich für eine klare, humanistische und soziale Version von New Work ein. Er kritisiert, dass unsere Gesellschaft zu einer leistungsunfähigen und -unwilligen Gesellschaft erzogen wird. „Leistung“ werde immer mehr zum Anti-Begriff. Die Forderungen nach modernen Arbeitsbedingungen und das Hinterfragen von herkömmlichen Arbeits- und Lebensbedingungen – so berechtigt sie sein mögen - würde auf ein politisches Klima treffen, das immer weniger eigene Leistung von Bürgern einfordert und an deren Stelle den fürsorglich-paternalistischen Staat setzt. Väth sagt, es brauche eine Renaissance des Leistungswillens. Was meinen Sie?

 

Quelle: Werteindex, Handelsblatt.com, Capital.de, haufe.de