BLOG: 09.03.2021

Streitkultur im virtuellen Raum

Home Office

Konflikte gehören zum Arbeitsleben wie das Amen im Gebet. Distance Working verschärft das Konfliktpotenzial. Im ersten Lockdown 2020 lernte Isabell S. bei einem virtuellen Event zwei Unternehmer kennen. Die drei entdeckten gemeinsame berufliche Interessen und beschlossen, ein gemeinsames Unternehmen zu gründen. Ohne einander jemals face-to-face getroffen zu haben. Kann das funktionieren? Wie sieht die Streitkultur im virtuellen Raum aus?

Die Sorge um die Unternehmenskultur

Es ist das Gespräch in der Kaffeeküche, das gemeinsame Mittagessen oder Besuche an den Tischen der Kollegen, die Vertrauen aufgebaut haben, als noch alle am selben Ort arbeiteten. Andrea, eine Auszubildende in der Einkaufsabteilung einer Mediaagentur hat vor einigen Monaten einen Vertrag als Mediaeinkaufs-Assistentin unterschrieben. Kurz darauf wurden alle Mitarbeiter ins Home Office geschickt. Leider lief die virtuelle Einschulung nicht zufriedenstellend für die junge Dame: „Meine Teamleiterin informiert mich laufend über Microsoft Teams, und wir teilen uns ein gemeinsames virtuelles Whiteboard. Aber trotz wöchentlicher Teammeetings und oftmaliger Projektmeetings, nach einem halben Jahr in diesem Team habe ich immer noch nicht das Gefühl, meine Kollegen und Vorgesetzten zu kennen.“ Andrea meint, ihr fehle zunehmend die Lust am Arbeiten.

Motivierte Mitarbeiter wie Andrea werden sich ihrem Arbeitgeber vielleicht niemals verbunden und loyal fühlen, da es nur einen geringen Unterschied macht, wer ihr Gehalt zahlt, wenn sie die Nuancen der Unternehmenskultur vermisst.

Mitarbeitermotivation neu

Ich habe in einem Clubhouse Talk gehört, dass der Abteilungsleiter eines mittelständischen Unternehmens bei einem Lunch-Zoom Call mit seinem Team den Mitarbeitern Überraschungspizzen geschickt hat. Die Dame, die von dieser Maßnahme berichtete, war Ende 20 und fand die Geste charmant – wenngleich sie meinte, dass sie die zugestellte Salamipizza nur anstarrte, weil sie nur Veganes verspeist. Soweit ging die firmeninterne Recherche nach den Vorlieben und Essgewohnheiten der Arbeitnehmerin dann wohl nicht.

Ein anderer erzählte von Putzfirmen, die ihre Großaufträge in den Corporates verlieren und nun überlegen, ob sie in Richtung ‚Homeoffice Cleaning‘ umdenken sollen. Ist das motivierend für Mitarbeiter? Das Angebot der Firma, Serviceleistungen im privaten Büroumfeld zu übernehmen? Werden aus diesen Problemstellungen ganz neu erdachte Manifeste zur Mitarbeitermotivation im virtuellen Büroalltag, um die Loyalität der Mitarbeiter zu befeuern und Fluktuation zu verhindern?

Streit übers Präsentationslayout 

Es ist ganz normal, dass sich Kollegen zanken. Einer Studie des Personalunternehmens Orizon zufolge gehört Streit mit Kollegen in Deutschland zu den drei größten Stressfaktoren am Arbeitsplatz. Wenn man die Kollegen plötzlich nicht mehr persönlich sieht, kann das die Kommunikation verändern. Das birgt Potential für Missverständnisse.

Während sich manche Mitarbeiter freuen, der Kollegin, die ständig laut telefoniert, nicht mehr zuhören zu müssen oder den Kollegen, dem ein ekelerregender Duft-Melange aus Zigaretten- und Fastfood folgt, nicht mehr riechen zu müssen: Fakt ist, wenn man einander persönlich nicht mehr sieht, kann das auch die Kommunikation verändern.

Mehr Konflikte durch Home Office Tätigkeit

Viele Psychologen und Kommunikationsexperten in Unternehmen bestätigen, dass sich im letzten Jahr zunehmend Menschen gemeldet haben, bei denen es seit der Corona-Krise zu vermehrten Konflikten im Berufsalltag kommt.

Was man früher im Unternehmen nebenbei auf dem Flur oder in der Kaffeeküche mitbekommen hat – etwa: Der Kollege hat heute total schlechte Laune, dem gehe ich lieber aus dem Weg, das funktioniert über die digitale Kommunikation nicht mehr. Weder mit Kollegen, noch mit Kunden. Da passieren ganz schnell Stimmungs-Vulkanausbrüche, wenn der Teamleiter eine kurze, knappe Mail schreibt: „Schick mir die Unterlagen bis morgen.“, obwohl die Abgabe laut Terminplan erst in 3 Tagen erfolgen müsste. Und schon beginnt ein Ping-Pong-Spiel, denn die beiden, die miteinander emailen, bemerken eine spezielle Situation oder Befindlichkeit nicht, sondern antworten schroff, beleidigt oder in sonstigem ungünstigen Ton. „So entsteht ein Hin und Her, das sich in einen Konflikt hochschaukelt – der im schlimmsten Fall zum Abbruch einer Arbeitsbeziehung führen kann“, erklärt der Psychologe Dieter W.

Unternehmensleitbilder unterstützen die Streitkultur im virtuellen Raum – Foto von Daniela Krautsack

Unternehmensleitbilder zur Konfliktvermeidung

Eva W., Verlagsinhaberin sagt: „Wir haben vor kurzem ein Unternehmensleitbild erstellt, weil die Kommunikation und das Verhalten im Team nicht funktioniert haben. Ich habe mich mit den drei Mitarbeitern zusammengesetzt, die am längsten im Unternehmen sind und habe meine Gedanken dazu geteilt. Dann haben die Mitarbeiter überlegt, was sie in den letzten Wochen und Monaten gestört hat und diese Punkte – positiv formuliert – addiert. Ich habe alle Mitarbeiter gebeten, das Leitbild durchzulesen und zu unterzeichnen. Seither geht es viel besser. Ich hatte ehrlich gesagt keinerlei Erwartungen, aber scheinbar war dieser Prozess, das Leitbild und die verschriftlichten positiven Affirmationen fürs Team wichtig.“

Individuelle Vereinbarungen treffen

„Wir haben Herausforderungen mit Praktikanten, die im Home Office sitzen“, meint die Human Potential Managerin Edda M. Diese melden sich erst dann, wenn es Probleme gibt, beklagt sie. „Oft sind es Missverständnisse in der Kommunikation, die das Problem auslösen und fehlende Erfahrung, um eine Situation richtig zu erfassen. Es gibt Mitarbeiter, die von Natur aus auf weniger kommunizieren, sich nicht trauen, zwei Mail nachzufragen, und dann die Dinge falsch umsetzen. Das ist seit der Beginn der Coronazeit als Problem sichtbar geworden.“

Verlagsinhaberin Eva W. meint: „Ich glaube, dass Firmen immer einen Standort haben werden. Es wird Leute geben, die mehr im Home Office sein werden und andere, die den ständigen Austausch, die Spiegelung und Bewertung brauchen. Meiner Erfahrung nach sind das Mitarbeiter, die weniger an ihrer eigenen Entwicklung arbeiten und auch weniger Selbstbewusstsein haben. Die Streitkultur zwischen der digitalen Arbeiten und dem Präsenzarbeiten im Büro wird man genauso neu definieren, wie Unternehmensleitbilder, die wir an aktuelle Herausforderungen anpassen.“

Neue Jobbilder

Die Entwicklung, die Organisationen im Rahmen einer New Work Philosophie ohne Corona in sechs Jahren durchgemacht hätten, passierten in sechs Monaten. Neue Umstände, neue Jobbilder: Wenn sich bestätigt, dass sich die Zunahme der Home Office Tätigkeit und die Verkleinerung der Bürofläche negativ auf die Unternehmenskultur auswirkt, werden vielleicht neue Jobprofile entstehen. Streitkultur-Manager, Konfiktmanager, Motivationsmanager, you name it.

Streitkultur kann zum Erfolg eines Teams beitragen, wenn sie einhergeht mit klar definierten Umgangsformen, Streitregeln und Versöhnungsritualen. Mit Kollegen reden, einen neutralen Vermittler finden, Empathie zeigen und sachlich bleiben – das sind wichtige Schritte für eine gute Streitkultur.