BLOG: 03.02.2022
Kunst im Büro: Jenseits des Wandschmucks
BüroflächeKunst im Büro ist längst mehr als Dekoration. Unternehmen schaffen damit eine neue Ebene der Kommunikation, die neben den Mitarbeitern und Besuchern auch die Künstler miteinbezieht. Der Trend zur Originalkunst erscheint somit logisch.
Es soll ein paar Werbeagenturen geben, die schmucklose weiße oder schwarze Wände lieben, weil ihre Texter von nichts davon abgelenkt werden sollen, geniale Werbe-Slogans zu erfinden. In der Regel aber kommt in Betriebsräumen mit Kunst an der Wand einfach mehr Freude auf. Wenig erstaunlich also, dass sich die meisten Büroräume, Kanzleien oder Praxen mit Wandbildern schmücken. Das sorgt für Wohlbefinden bei den Mitarbeitern, und ein schön gestalteter Raum macht mehr Lust zu arbeiten, bietet Motivation und Inspiration. Kunst in Büro kann bei den Mitarbeitern durchaus unterschiedliche Reaktionen auslösen. Denn die Wirkung eines Kunstwerks hängt neben dem Charakter der Arbeit auch von der Persönlichkeit des Betrachters ab. So sorgen Gemälde und andere Kunstarten für eine Vielzahl an Eindrücken und beeinflussen die Stimmung am Arbeitsplatz.
Wenig Fantasie bei der Raumplanung
Leider haben viele für die Raumplanung in den Unternehmen zuständigen Experten oft die gleichen Vorstellungen. Zum Beispiel die, dass die Kunst in Firma oder Praxis etwas mit ihren Produkten oder Dienstleistungen zu tun haben muss. Wer schon mal die künstlerischen Variationen von Zähnen in allen Farben des Regenbogens im Wartezimmer einer Zahnarztpraxis gesehen hat, weiß, wovon ich spreche. Ein wenig mehr Fantasie wäre nicht verkehrt, denn so wird der Patient bestimmt nie fragen, wofür das Kunstwerk steht. Es ist halt ein Zahn, na gut.
Im Bann der Staunebilder
Eine weitere Prämisse lässt sich gut mit dem Wort Familienfreundlichkeit beschreiben. Einen Goya- oder Francis-Bacon-Druck habe ich deshalb noch nirgends in einem Betriebsraum gesehen. Aber sehr viele Stadtansichten aus New York. Und noch mehr New York. Eigentlich nur New York. Gern auch in großen Konferenz- und Meetingräumen oder Lobbies. Hier wird gern mit Kunst geprunkt, auf die der Begriff Staunebilder passt.
Und immer wieder New York
Manche Unternehmen lassen sich von Kunstpsychologen beraten, die dann Tipps wie diese geben: Filmstills fördern kreative Höchstleistungen, Schwarz-Weiß-Bilder schärfen den Blick, kräftige Farben und Muster wirken stimulierend, Bilder mit Ausblick vergrößern den Raum optisch und geben Perspektive. Gern auch hier: New York. Wandobjekte sorgen für Stimmung, dezente Kunst fördert die Gelassenheit an hektischen Arbeitstagen, monochromatische Bilder schaffen Klarheit, abstrakte Kunst wirkt fokussierend, Pastellfarben beruhigend. Was eher ungern genommen wird, sind Landschaftsbilder. Sie haben angeblich eine meditative Wirkung. Oder wie manche Chefs sagen: einschläfernd.
Kunst bleibt im Gedächtnis
Kunst an der Wand ist eher unwichtig? Von wegen. Die visuelle Wahrnehmung hat einen Anteil von 80 Prozent dessen, was das menschliche Gehirn an Informationen absorbiert. Kunstwerke sind das, was Besuchern am längsten und nachdrücklichsten im Gedächtnis bleibt. Oft wird von der Lobby als Visitenkarte des Unternehmens gesprochen. Eine Lobby ohne Kunst ist also im wahrsten Sinne leer. Eine zunehmende Zahl von Unternehmen hat Kunst in ihre Corporate Identity integriert. Wie so etwas vorbildlich gelingt, zeigt die Zentrale der Münchener Rückversicherung in München. Auf den Verbindungsgängen der einzelnen Gebäudeteile hängt moderne abstrakte Kunst wie Neoninstallationen.
Wirkung ist nachgewiesen
Unternehmen verstärken ihre Botschaft mit ergonomischer und stilvoller Büroeinrichtung, passendem Interior Design und mit ausgewählten und gekonnt positionierten Kunstwerken. Nach einer repräsentativen Umfrage von Viking und OnePoll sind 69 Prozent der Befragten überzeugt, dass Kunst im Büro in der Lage ist, das Stressempfinden zu reduzieren, 64 Prozent der Meinung, dass Kunst die Produktivität steigert und 68,8 Prozent geben an, dass Kunst die Kreativität fördere.
Die schrecklichste aller Fragen
Die Mehrheit der Arbeitnehmer findet Kunst am Arbeitsplatz also gut. Viel mitreden dürfen sie aber nicht, denn dass, was in den meisten Unternehmen später an der Wand hängt, hat oft einen langen Entscheidungsprozess mit vielen quälenden Fragen hinter sich: Lenkt das die Leute nicht zuviel ab? Ist das positiv genug? Fördert das den Team-Spirit? Dominiert das den Raum nicht zu stark? Fügt sich das harmonisch in unser Bürokonzept ein? Passen die Farben zum Verwendungszweck des Raumes? Passt das Kunstwerk auch zu unserer Corporate Identity? Und, die schrecklichste aller Fragen: Dient das Kunstwerk der Erreichung von Unternehmenszielen?
Setzen Sie auf Originalkunst!
Mein Tipp: Bloß nicht! Streichen Sie alle Fragen. Laden Sie statt dessen Künstler ein und sprechen sie mit ihnen. Gerade in Berlin, der Hauptstadt der Kunst, ist das ziemlich einfach. Hier gibt es eine Menge talentierter Künstler, die inspirierende Arbeiten produzieren, die oft noch bezahlbar sind. Ist es nicht viel schöner, das originale Werk eines lokalen Künstlers aufzuhängen als aus Prestigegründen mit der Arbeit eines teuren Kunststars zu prahlen, der bei den Mitarbeitern nur Murren auslöst („Für sowas ist Geld da.“). Hier ein paar Tipps zu Berliner Künstlern:
Charlie Stein
Übergroße Augen, kindliche Züge, popbunte Farben – die Modelle auf den Bildern von Charlie Stein sind von der Ästhetik visueller Medien wie Instagram beeinflusst. Sie posieren gekonnt, machen auf niedlich, wollen schön sein. Aber sind sie auch echt? Steins glossy glänzende Lippen-Bilder führen den Betrachter bewusst auf eine falsche Fährte. Denn die erotisch wirkenden Lippen stammen nicht von Menschen, sondern von Robotern. Angst vor Künstlicher Intelligenz hat Charlie Stein nicht, sie sieht die Entwicklung der Technologie als linearen Prozess an. „Die Idee künstlicher Menschen geht bis in die griechische Antike zurück. Diese Idee, dass man was erzeugt, was dann selbständig lebensfähig ist, ist eine uralte Vorstellung.“ Stein ironisiert in ihren Bildern eine veraltete Form von Weiblichkeit, die sich in den Sehgewohnheiten der sozialen Medien wieder zu verfestigen scheint, in denen das Zurschaustellen eines Schönheitsideals zum Selbstzweck von Weiblichkeit wird. In diesen gefilterten Insta-Welten werden Frauen einander zu visuellen Zwillingen – standardisiert und langweilig.
Minor Alexander
Der in der Ukraine geborene, deutschstämmige Künstler Minor Alexander hat an der Hochschule der Bildenden Künste Saar und der Kunstakademie Karlsruhe studiert und arbeitet heute als Künstler in Berlin. Er stellt Bilder und Plastiken aus Schaumstoff oder Stein her und beflockt sie mit einem samtigen Material. Indem er Alltags- oder Naturgegenstände findet und sie zum Kunstwerk macht, bewegt er sich in der Objet trouvé-Tradition von Marcel Duchamp und Yves Klein. Während der Corona-Pandemie hat Minor Alexander einen noch stärkeren Naturbezug entwickelt. „Ich war sehr häufig im Wald spazieren und habe eine große Stille vorgefunden", sagt Minor Alexander. „Sogar die Tiere waren ruhiger als sonst.“
https://www.instagram.com/minor_alexander
Anna Nezhnaya
Die in Berlin lebende russische Künstlerin greift in ihren Werken zeitgenössische Trends und Motive auf und bindet sich nicht an ein Ausdrucksmittel. Ihre Arbeiten umfassen sowohl gemalte Bilder als auch modellierte Neon-Objekte. Ihre neuesten Arbeiten spielen auf einen Klassiker der Literatur an: Alice im Wunderland von Lewis Carroll. Darin stolpert ein Mädchen in einen Kaninchenbau und findet sich in einer Fantasiewelt wieder. Es ist wohl kein Zufall, dass sich seit der Pandemie eine stetig wachsende Zahl von Künstlern und Künstlerinnen dem Literaturklassiker zuwendet. „Dahinter steckt der Wunsch, der Pandemie wie Alice im Wunderland zu entkommen“, sagt Anna Nezhnaya.
Doch das Portal zur imaginären Traumwelt ist gut versteckt. Was dem Betrachter bleibt, ist die Entdeckung der Magie, die in der Kunst verborgen liegt. „Ich bin davon überzeugt, dass gerade in diesen Zeiten viele Menschen Magie und Inspiration suchen“, sagt Nezhnaya. „Es ist eine schwierige Zeit, eine Zeit der Einsamkeit. Ein dankbarer Weg, dieser Situation zu entkommen, ist das Reich der Fantasie.“