BLOG: 22.06.2022

Ikonen des Optimismus

Power-Orte

Mit dem Flughafen Tegel und dem Internationalen Congress Centrum stehen in Berlin zwei Architektur-Ikonen der 70er Jahre. Die Power-Orte der Vergangenheit haben bis heute ihre Strahlkraft erhalten. Denn sie verkörpern eine seltsam aus der Zeit gefallen wirkende Idee: den Glauben an eine bessere Zukunft.

Das Elend hatte seine gute Seite. Denn die grotesken Probleme beim Bau des neuen Berliner Flughafen BER sorgten dafür, dass sich der Eröffnungstermin des neuen Airports um beinahe zehn Jahre verzögerte. So ging der von vielen an Design und Architektur interessierten Menschen geschätzte Flughafen Tegel (TXL) in eine unverhoffte Verlängerung. Ursprünglich als Notbehelf geplant, wurde der Vorgänger des späteren TXL 1948 auf Geheiß der französischen Besatzungsmacht in 90 Tagen aus dem Boden gestampft - und wurde gemeinsam mit dem Flughafen Tempelhof während der Zeit der Berlin-Blockade zum Symbol der Freiheit.

 

Glücksfall GMP

Der Mauerbau zementierte 1961 die Westberliner Isolation, und aus dem Provisorium Tegel wurde wegen der gegenüber Tempelhof längeren Startbahn der neue Hauptflughafen Berlins. Dass die unbekannten Studienabgänger Meinhard von Gerkan, Volkwin Marg und Klaus Nickels (GMP) 1965 den Wettbewerb um dessen Gestaltung gewannen, entpuppte sich als Glücksfall. Nach fünfjähriger Bauzeit wurde der Flughafen Tegel pünktlich und voll im Budget am 1. November 1974 nach fünfjähriger Bauzeit eröffnet.

 

Bunte Lebensfreude

GMP richtete des Design human aus: ansprechender Look, kurze Wege, einfache Funktionen. Wer am inneren Ring aus dem Taxi stieg, hatte einen Weg von gerade mal 32 Metern zum Flugzeug vor sich. Verglichen mit den meisten anderen Flughäfen unvorstellbar kurz. Der Komfort für die Fluggäste stand bei jedem Gestaltungsdetail im Vordergrund. Die Gestaltung mit den damaligen Trendfarben Rot, Gelb und Braun war ebenso bunt wie mutig, das Design futuristisch.

 

Emotionale Architektur

Die Aussage war klar: Berlin ist zwar eingeschlossen, steckt aber voller Lebensfreude und sieht zuversichtlich in eine gute Zukunft. Selten war Architektur so emotional, und genau das machte Tegel zu einem echten Power-Ort mit einem Ensemble aus ikonischen Gebäuden.

 

Im Zeichen des Hexagons

Angefangen mit dem ein Hexagon bildenden Abfertigungsgebäude, an dem Flugzeuge direkt andocken konnten. Die Drei-, Sechs- und Achteckform fand ihren Widerhall in Decken, Fussböden, Treppen und Möbeln, die allesamt aus der gleichen geometrischen Logik entwickelt wurden. Das Rot der Hauptgebäude zitierte die Berliner Landesfarben, die Aluminiumröhren der Flugsteige den Karosseriebau, was zum 70er Jahre Ideal der autogerechten Stadt passte. Am 8. November 2020 startete der letzte Flug vom Flughafen Berlin-Tegel.

 

Urban Tech Republic

Der denkmalgeschützte Bau soll bald Start-ups und den Sitz einer Hochschule beherbergen, soll Teil der geplanten „Urban Tech Republic“ werden. Geplant ist ein auf Technologien fokussierter Industrie- und Forschungspark. Zudem sollen etwa 10.000 Menschen in neuen Wohnquartieren auf dem Flughafen Tegel leben. Eingedenk des berlinüblichen Bautempos wird er zumindest von außen noch eine Weile unverändert zu sehen sein.

 

Verpasste Chancen

Anhänger der Design-Ikone TXL beklagen diese Umwidmung und trauern den verpassten Chancen nach. Eine vorgesehene Anbindung an das Berliner U-Bahnnetz wurde ebenso nie realisiert, wie die ursprünglich geplante Möglichkeit der Erweiterung durch ein zweites, östlich gelegenes Hexagon. Die wegen des großen Passagierandrangs geschaffenen Anbauten (Terminals B,C,D und E) waren eher eine Beleidigung der ursprünglichen Design-Idee.

 

Beliebtester Tagungsort der Welt

Wenn der TXL ein Symbol der Freiheit war, gilt dies in einem fast noch höheren Maß für das Internationale Congress Centrum Berlin (ICC). Das 1979 eröffnete ICC war lange das wichtigste Tagungszentrum Deutschlands und galt als eines der am besten ausgelasteten. Mehrfach wurde es zum beliebtesten Tagungsort der Welt gewählt. Und doch galten die zwei großen und rund 80 kleineren Säle und Räume als zu kleinteilig und unökonomisch. Seit September 2019 steht das asbestverseuchte Gebäude unter Denkmalschutz, nachdem einige Narren bereits den Abriss gefordert hatten.

 

Im Bierpinsel

Was die Architektenkammer Berlin mit ihrer Forderung, das ICC unter Denkmalschutz zu stellen, wohl verhindert hat: „Es zählt zu den bedeutendsten Bauwerken der deutschen Nachkriegszeit und befindet sich in einem authentischen und beinahe vollständigen Erhaltungszustand.“

Wie beim TXL kamen auch beim ICC junge Architekten zum Zug: den Wettbewerb gewann 1965 das Architektenehepaar Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte, von deren Zeichentisch auch der legendäre „Bierpinsel" in Steglitz stammt, ein 46 Meter hoher Turmbau mit roten Kunststoffverkleidungen – ein gelungenes Beispiel der Pop-Architektur der 1970er Jahre.

 

Gegengewicht zum „Palast der Republik“

Nach einigen Unstimmigkeiten begann die Bauarbeiten am seinerzeit größten und teuersten deutschen Bauvorhaben seit dem Weltkrieg, die Eröffnung war 1979. Mit fast einer Milliarde D-Mark schlugen die Baukosten zu Buche und übertrafen sogar die als zu teuer verschmähte Berliner Staatsbibliothek. Gedacht war das ICC auch als Gegengewicht zum 1979 in Ost-Berlin eröffneten DDR-Prestigeobjekt „Palast der Republik“, den das ICC schon mal überlebt hat - hoffentlich noch um viele weitere Jahre.

 

Aus der Zeit gefallen, aber wichtig

Für ICC und TXL gilt gleichermaßen: Diese Power-Orte der Vergangenheit haben bis heute ihre Strahlkraft erhalten. Denn sie verkörpern eine seltsam aus der Zeit gefallen wirkende, aber umso wichtigere Idee: den Glauben an eine bessere Zukunft.

Außenansichten: ICC bzw. TXL
Innenansichten: ICC bzw. TXL
Innenansichten: ICC bzw. TXL