BLOG: 06.04.2021

Die optimale Organisationsgestaltung

New Work

Ernst Weichselbaum ist ein Pionier der flexiblen Arbeitszeit und des Konzepts der fraktalen Fabrik. Er entwickelte ein partizipatives, ergebnisorientiertes Entlohnungsmodell. Weichselbaum setzte damit Maßstäbe weit über die Branche, für die er dieses System entwickelt hat. In der Produktion ist ihm der Kundenfokus besonders wichtig. Das bedeutet ein neues System der Organisationsgestaltung und Betriebsführung. In diesem erhält der Kunde unabhängig von der betrieblichen Auslastung eine fixe Lieferzeit bei der Bestellung.

Das Modell der Nahtstellen-Organisation

„Dazu braucht es das Modell der Nahtstellen-Organisation“, sagt Weichselbaum, „dem klare Regeln der Zusammenarbeit unterliegen.“ Was heißt das in der Praxis: Nicht die Auslastung der Produktion mit fixen Losgrößen, sondern alle Aufträge mit dem gleichen Liefertag werden zusammengefasst. Das bedeutet kleine überschaubare Lose (kleine Einheiten). Ist die Tagesportion des Teams erfüllt, ist die Arbeit vollbracht. So kann das Team flexibel eingesetzt werden.

Das Interview

Ich habe Buchautor Ernst Weichselbaum im Zoom-Interview getroffen und ihn nach seinen Erfahrungen im Bereich der Organisationsgestaltung befragt.

Herr Weichselbaum, im August kommt Ihr Buch ‚In jedem Unternehmen steckt ein besseres – Zeitorientierte Betriebswirtschaft mit dem Weichselbaum-System‘ auf den Markt. Worum geht es in Ihrem Buch?

Weichselbaum: „Die Lieferzeit ist die Konstante. Das, was am gleichen Tag ausgeliefert wird, wird auch am gleichen Tag produziert. Es wird nicht auf Lager produziert. Lager braucht es keines. Es braucht keine Überstunden der Mitarbeiter. Was es braucht, sind flexible Mitarbeiter. Das ist die Essenz des Neues Arbeitens für mich.“

Riesenumbruch bei der Organisationsgestaltung

Sie erwähnen in Ihrem Buch immer wieder die Wichtigkeit der Nahtstelle in der Organisation. Was meinen Sie damit?

Weichselbaum: „Die Nahtstelle ist der kleinste Teil in der Organisation. Alle, die in der Organisation arbeiten, entdecken die Organisationswelt als flexiblen Raum. Jeder kann einen Beitrag leisten, in der Kommunikation, im Dialog untereinander und in den Vereinbarungen, die wir miteinander treffen.

Die Disruption, also die Veränderbarkeit der Organisation, entsteht an der Nahtstelle (dort, wo die Übergabe und Vereinbarung zwischen den handelnden Teams stattfindet) und gestaltet sich zum Wohle des Unternehmens. Es gibt Organisationen, die stark auf Hierarchie und Anweisung setzen. Und es gibt andere, die aus agilen, selbstorganisierten und selbstverantwortlichen Teams bestehen. Diese zeigen die Faszination der Partizipation und Menschlichkeit. Sie arbeiten zusammen auf Augenhöhe und vereinbaren sich. Vereinbaren ist zukunftsfähiger als befehlen.“

Hierarchie und Organisationsgestaltung in der Krise

Wie können Organisationen aus der Pandemie lernen?

Weichselbaum: „In der Krise gehen Führungskräfte sehr hierarchisch vor. Hierarchie ist aber nur gut für Zeiten, in denen sich Unternehmen nicht entwickeln wollen oder müssen. Hierarchie ist Unternehmensverwaltung. In dynamischen und Restrukturierungszeiten funktionieren Hierarchien nur bedingt. Ihr Blickfeld muss nun auf andere Themen gerichtet werden, wie flexibleres Handeln, Verschlanken von Prozessen (z.B. 1:1 Kommunikation), neue innovative Geschäftsmodelle. Das bedeutet auch, mehr Dialoge zu führen und situative Probleme spontan und improvisierend zu lösen. Nur Rahmenbedingungen zu ändern (wie z.B. alle ins Home Office zu schicken) ist unzureichend.“

Die Welt wird digitaler

Was müssen Mitarbeiter nun tun, um produktiver zu sein?

Weichselbaum: „Unternehmen erkennen, dass Mitarbeiter nicht im Unternehmen sein müssen, um produktiv tätig zu sein. Unternehmen müssen mit ihren Mitarbeitern gemeinsam an einer Vertrauenskultur arbeiten. Die derzeitige Krise sorgt zwar für eine Verbesserung dieser, aber Beobachtungen weisen noch immer unzeitgemäße Formen der Leistungsbewertung auf (z.B. Arbeitszeitaufzeichnungen). Das sagt übrigens auch Professor Scheff von der Karl Franzens Universität.“

Weichselbaums Tipps dazu:

1. Organisieren Sie sich in fraktalen Zwei-Kreis-Organisationen mittels autonomer Teams und Nahtstellen-Vereinbarungen (Stellen Sie sich zwei Kreise vor, die autonom arbeiten. Dort, wo sie sich berühren, braucht es eine Nahtstellen-Vereinbarung. Beispiel: in einer Produktionstätigkeit, wo eine Abteilung schweißt, die andere lackiert gibt es Überschneidungen; die Interaktion zwischen den Akteuren dieser Abteilungen muss vereinbart werden). In der Praxis ist die Abgrenzung von Abteilungen untereinander sichtbar, das abteilungsübergreifende Denken ist allzu oft nicht vorhanden.

2. Kommunizieren Sie in täglichen ‘Scrum-ähnlichen’ Meetings und verkaufen Sie maßgeschneiderte Lösungen – keine Standardprodukte.

3. Ermöglichen Sie Lieferzeiten durch Just-in-time Produktion.

4. Gestalten Sie Ihre Produktion von einer klassischen, funktionsorientierten hin zum Prinzip der Nahtstellen-Organisation (Beispiel: Ein engagiertes Team aus Meistern, Ingenieuren und Technikern macht sich daran, im Rahmen eines Innovation Lab neue Techniken auszutüfteln. Selbstorganisiert, ohne Vorgaben und Kontrolle werden viele Verbesserungen angestoßen. Schnell ist spürbar, dass die räumliche Abgrenzung, die Freiheit, die Erfolgserlebnisse und die gewonnenen Lerneffekte das Team motivieren. Kleine Teams und rasche Lösungen sind das Rezept. Die Übergabe zum nächsten Team wird klar geregelt).

5. Erhöhen Sie die Teamleistung in der prozessorientierten, fraktalen Organisation in Form einer MitarbeiterInnenbeteiligung, Selbstorganisation, Selbstverantwortung. Was zählt, ist die Teamleistung. Beispiel: Die Teams haben große Freiheiten. Jeder muss jeden vertreten können. Es gibt keine Hierarchie. Es gibt fasches Feedback. So können Fehler in Echtzeit behoben werden.

Arbeit am System wird niemals langweilig

Welchen Beitrag liefert das Weichselbaum-Modell für die Organisationsgestaltung?

Weichselbaum: „Immer dann, wenn Arbeitsteilung gegeben ist, gibt es Nahtstellen. Die Nahtstelle ist die Verbindung zwischen Ebenen und zusammenarbeitenden Abteilungen. Vereinbarungen an der Nahtstelle dienen zur Reduktion der Komplexität. Die operativen Ergebnisse dienen der Orientierung.

Gleichzeitig hat jeder das Recht, Vorschläge zu machen. Diese sollen der Verbesserung dienen und nach Abstimmung eingeführt werden. Unverzichtbar ist dabei das unternehmerisches Wollen und die Harmonie in der Organisation. Versprechen dem Kunden gegenüber dienen als Grundlage der Vereinbarung (wer macht was wann und wo?) und deren Erfüllung. So gelingt eine garantierte Lieferzeit.“

Paradigmenwechsel entsteht im Kopf

Wie kann diese Nahtstellen-Umsetzung konkret gelingen, sowohl inhaltlich und vorgehenstechnisch?

Weichselbaum: „Die operative Ebene muss mit dem Recht ausgestattet sein, wie ein Unternehmer handeln zu dürfen, egal wie groß die Organisation ist und wie viele Nahtstellen sie hat. Beide Partner müssen einen Nutzen haben, müssen offen sein. Bei Zugeständnissen müssen beide was davon haben. Zwischen Team A und B wird der Nutzen in partnerschaftlicher Übereinstimmung vereinbart.

Vorlage für die Ausarbeitung der Vereinbarung sind die W-Fragen. Diese sind simpel, müssen aber konsequent angewandt werden. Menschen nehmen sich damit wechselweise ernst und vermeiden Machtspiele. Der Prozess ist klar gestaltet.“

Das Umdenken zahlt sich aus

Was bringt die Umstellung auf die Nahtstellen-Organisation?

Weichselbaum: „Die Produktivität steigt um 30 bis 50% (ich habe auch schon mehr erlebt) und die Lieferzeit wird erheblich reduziert. Die Kundenzufriedenheit wird um ein Vielfaches erhöht.

Aus der Sicht des Bisherigen, ist das Neue immer falsch. Im alten Denkrahmen ist Neues oft nicht möglich. Neues ist daran erkennbar, dass es zur Beschreibung des Neuen ’neuer Begriffe‘ bedarf und dass es zu nachhaltigen Konstanten-Verschiebungen kommt; Konstanten im Fühlen, Denken und Handeln.“

Danke für das spannende Interview. Wir freuen uns schon auf Ihr Buch. (Link zur Bestellung)