BLOG: 03.09.2021

Das neue Raumgefühl - Coworking 2.0

New Work 2021/22

Gemeinschaftliches Arbeiten ist in der Ära des Social Distancing schwierig geworden. Plötzlich scheint beim Coworking das Gegenteil des früheren Mantras zu gelten: Nähe erzeugt Unwohlsein, Abstand ist Trumpf. Neuen intelligenten Konzepte, die dem Einzelnen mehr Individualität bieten, ohne auf Gemeinschaft zu verzichten, gehört die Zukunft.

Wer in diesen Tagen in Berlin einen Coworking-Arbeitsplatz anmieten möchte, wird auf besonders freundliche Menschen treffen. Ein Versuch in einem Coworking-Space im Stadtteil Prenzlauer Berg bestätigt dies. Der Geschäftsführer nimmt sich viel Zeit, mir alle Räume zu zeigen, und die können sich allesamt sehen lassen.

 

Über den Preis lässt sich reden

Lichtdurchflutete Räume, top-designtes Mobiliar, Kaffee-Bar mit Espressomaschine aus Bella Italia, Kühlschränke mit freien Getränken, alle Möbel und Gerätschaften blinken so neu wie frisch gekauft. Alles inklusive, Schreibtische werden ebenso gestellt wie Konferenzräume, Lounge-Ecken und Telefonboxen. Und auch beim Preis herrscht großes Entgegenkommen, los geht es schon mit rund 200 Euro pro Arbeitsplatz. Im Monat und als Einstiegspreis, versteht sich.

 

Die Party ist vorbei

Eine Kleinigkeit fällt allerdings bei dem Coworking-Space auf: Wo sind die Menschen? In einem Raum mit 15 Arbeitsplätzen sitzt gerade mal eine junge Frau hinter ihrem aufgeklappten Laptop. An der Ausstattung kann es nicht liegen, weder in diesem Space, noch in den vielen anderen Plätzen in Berlin. Die Coworking-Anbieter hatten vor der Corona-Pandemie sogar noch von der Ausweitung des Coworking auf Coliving geschwärmt. Das Ideal war ein gemeinsames Wohnen und Arbeiten im Highend-Studentenwohnheim-Style; inklusive Arbeitsräume, Pools, Waschsalons, Gym und Partyraum.

 

Das neue Credo: Abstand

Doch aus dem Wunsch nach noch mehr Nähe in der anonymen Großstadt ist durch Corona ein Bedürfnis nach funktionierenden Hygienekonzepten geworden, deren Credo Abstand heißt. Bürofläche, Schreibtisch und Drucker teilen? Früher gern. Heute ist die erste Frage: wischt den regelmäßig jemand ab? Besonders der, der im Großraumbüro arbeitet, setzt sich einem höheren Risiko aus. Sollte dort ein Corona-Fall auftreten, ist der Teufel los. Man muss allerdings dazu sagen, dass das Konzept einiger Coworking-Anbieter - "Top-Lagen anmieten gleich Top-Mieten kassieren" - schon vor der Pandemie nicht aufging.

 

 

Nur bei voller Auslastung profitabel

Einfach zu wenige Projektarbeiter konnten und wollten sich die von viel Grün, skandinavischen Hölzern und Kaffeeduft umflorten Arbeitsplätzen leisten. Manche der Edel-Spaces wären nur bei voller Auslastung profitabel gewesen, und davon waren sie schon vor der Corona-Pandemie weit entfernt. Zu den Nachteilen des Coworkings -mangelnde Privatsphäre, hoher Geräuschpegel, und beengte Platzverhältnisse - gesellte sich in der Pandemie noch die Unlust hinzu, mit mehreren Menschen in einem Raum zu arbeiten.

 

Begehrtes Silicon-Valley-Flair

Die hohe Nachfrage nach Hilfsgeldern ist ein Anzeichen dafür, dass sich die Auftragslage der Coworking-Kundschaft in der Pandemie verschlechtert hat. Viele Selbständige in der Hauptstadt haben sich in der Corona-Zeit von Projekt zu Projekt gehangelt. Die Sonderkonjunktur der raschen Erholung wird oft als wenig nachhaltig angesehen, was Investitionen erschwert. Das mussten auch die Factories von Google erkennen, zwei große Coworking-Areale in Berlin, die wegen des Silicon-Valley-Flairs besonders bei Startups beliebt sind.

 

Verwaiste Glaskästen

Auf dieses Flair haben auch DAX-Konzerne gezielt, die in der Factory große Büroflächen gemietet hatten, die sie am Ende aber kaum genutzt haben. Das wiederum hat die Projektarbeiter gefreut, die sich gerne in die verwaisten Glaskästen setzten, in denen man viel ruhiger arbeiten konnte als in den Großraumbüros der Factory.

 

 

Sinkende Nachfrage, aber die Idee bleibt intakt

Corona hat den Beeindruckungs-Kulissen einen Stoß versetzt und die Definition dessen, was Coworking 2.0 sein könnte, auf den Kopf gestellt. Nach dem Hype ist die Nachfrage nach Coworking Spaces stark zurück gegangen: Wo einst viele Schreibtische belegt waren, bleiben nun zahlreiche Arbeitsplätze leer. Coworking stand bis zur Pandemie besonders bei Start-ups, Denkfabriken und Kreativabteilungen hoch im Kurs, Coworker sollten unabhängig voneinander an unterschiedlichen oder gemeinschaftlichen Projekten arbeiten und sich dabei im selben Raum befinden.

 

 

Coworking 2.0 - Das Comeback der 80er Büros?

Die Idee, dass jeder Coworker vom Know-how der anderen profitieren soll, ist nach wie vor aktuell - wenn gewährleistet ist, dass der Abstand gewahrt bleibt. Dies erfordert neue Raumkonzepte und darauf abgestimmtes Mobiliar und Technik, wie zum Beispiel Raumtrenner oder Luftreiniger.

Coworking ist aus vielen Gründen komplizierter geworden. Wenn bei einer Werbeagentur interne und externe Grafiker, Programmierer, SEO-Experten und Texter gemeinsam arbeiten, ist im Falle einer Infektion die Kontaktverfolgung mit rein internen Teams einfacher als mit gemischten Teams.

Wenn Schreibtische heute in zu engem Abstand beieinander stehen, kann das sogar zu Problemen mit der Arbeitsstättenverordnung führen. Angesichts dessen ist es wenig erstaunlich, dass manche Experten schon jetzt das Comeback der Konfiguration der 80er Jahre ausrufen, mit kleinen Büro-Einheiten, in denen abgeschottet vor sich hingearbeit wird.

 

Keine Lust aufs Eckbüro

Doch bei allem Verständnis für Abstandsregeln passt eine solche Konfiguration nicht mehr in den Lifestyle der Millennials, die keine Lust mehr auf Hierarchien haben, die sich durch Codes wie etwa Eckbüros ausdrücken. Weil sie das kreative, weltoffene und moderne Arbeiten in den Coworking-Spaces kennen und schätzen gelernt haben, wollen sie darauf ebenso wenig verzichten wie auf Synergieeffekte und Standortunabhängigkeit. Gerade junge Unternehmer wollen ihr Büro dort anmieten, wo es das Business gerade erfordert.

Und Kommunikation ist als Asset ohnehin unverzichtbar geworden. Der Austausch zwischen den Mitgliedern der Community soll ein ebenso zentraler Bestandteil von Coworking 2.0 bleiben, wie das Treffen in der Lounge oder das Kochen in der Gemeinschaftsküche.

 

 

Bitte mehr Abstand

Die Frage ist, wie sich dieses Konzept unter den neuen Bedingungen adaptieren lässt. Es klingt paradox, da der Kern des Coworking das Gegenteil von Social Distancing ist. Und doch lässt es sich verbinden. Einer der Trends des Coworking 2.0 ist die Kombination von gemeinschaftlich genutzten kommunikativen Spaces und Einzelbüros. In den Gemeinschaftsräumen, in denen viele Menschen zusammenkommen, wird sehr stark auf Abstand und Hygiene geachtet. Das bedeutet Abstandsregelungen oder Sonderreinigungen. Die Raumbelegung wird digital organisiert, was die Kontaktverfolgung im Infektionsfall erleichtert, auch bei externen Mitarbeitern.

 

 

Zukunftsmodell in der Post-Corona-Ära

Wichtig ist die Rückzugsoption in Einzelbüros, die zwar kompakt, aber mit kompletter Büroinfrastruktur ausgestattet sein soll. Dafür gibt es in Berlin bereits Angebote - derzeit vorrangig für eine exklusivere Klientel. Aber nicht jeder braucht ein Chefbüro mit Ledersitzen und Blick aufs Brandenburger Tor – bezahlbare Business-Lösung mit kleineren, aber dennoch gut ausgestatteten Einzelbüros mit Anschluss an Gemeinschaftsräume könnten ein Zukunftsmodell der Post-Corona-Ära sein.