BLOG: 22.10.2021
Arbeiten in der Zukunft: wo und wann es passt
Hierarchie & DesignOb Messie oder Minimalist, seit Corona muss der Deutsche zunehmend ein geliebtes Paradigma aufgeben: Der eigene Schreibtisch ist ein Ding der Vergangenheit.
Wer sich dieser Tage mit Unternehmern, Möbelherstellern und Beratern unterhält, erkennt: Die Bürowelt befindet sich noch immer im Umbruch. Das Modell des Schreibtischs, auf dem der Kaktus und das Bild von Mops Hugo thronen, hat ausgedient. Aktenstapeln gibt’s im digitalen Office sowieso nicht mehr und die Zimmerpflanze steht so im Raum, dass sich alle daran erfreuen. Flexible Home Office-Angebote, geteilte Schreibtische und umgewidmete Büroflächen je nach Branche und Identität des Unternehmens sollen die Angestellten motivieren, sich aufs Büro zu freuen. Der Schreibtisch der Zukunft ist ein Tisch. Kein Mini-Daheim.
Unternehmen müssen sich etwas einfallen lassen, damit ihre Zentralen und Niederlassungen als Arbeitsorte attraktiv bleiben. Die Aufgabe für Möbelhersteller hat sich gewandelt: sie verkaufen nicht mehr nur Schreibtische und Stühle; Sie basteln an Konzepten, die der Workforce den Schreibtisch nicht wegnimmt, sondern Arbeitsplätze nach ihren Wünschen schafft. Und wer schaukeln will, um die Idee des Jahres zu haben, dann soll geschaukelt werden! Mittagsschlaf – Kojen, VR-Spielräume und Yoga-Sphäre, die mit Rollgras ausgelegt werden: das Bürodesign Motto des neuen Büros lautet: Innovation is only limited by your inspiration.
Fix ist: Der Arbeitsplatz der Zukunft hat flexible Arbeitszeitmodelle, ein Wohlfühlambiente und moderne IT-Lösungen.
Hot Desk: Der Messie ist Geschichte
Was symbolisiert er, der puristisch leere hot desk, oder auch ewig neuer Arbeitsplatz genannt? Im Ausdruck der Selbstdarstellung signalisiert ein leerer Arbeitsplatz makellose Ordnung, volle Klarheit und geistige Aufgeräumtheit. Auch die Farben der Mitarbeiteroutfits strahlen eine Botschaft aus. Marineblau, im Kostüm oder Anzug steht für Anpassung und Rationalität, der schwarze Zweiteiler vermittelt Entschlossenheit.
Das Familienfoto auf dem Tisch eines Mitarbeiters gefällt der Geschäftsführung heute nicht mehr. Auch nicht dem Kollegen, der diesen Tisch vom System am nächsten Tag zugewiesen kriegt. Braucht ein Mitarbeiter Bücher und Magazine für die Recherche und Schreibuntensilien, die man - wie ein 5 Sterne Koch, der sein Messerset - immer dabei hat, darf man das in der neuen Arbeitswelt trotzdem nicht liegenlassen, auch wenn man vorhatte, am nächsten Tag wiederzukommen - und dann doch Home Office macht. Persönliches ist im neuen Office passé.
Wenn ein unordentlicher Schreibtisch einen unordentlichen Geist repräsentiert, was sagt dann ein leerer Schreibtisch über den Menschen, der ihn benutzt aus? sagt Albert Einstein. Die Arbeitswelt im Büro hat sich verändert. Besprechungsräume werden wichtiger, die Flächen umgewidmet. Ob Messie oder Minimalist, seit Corona muss der Deutsche ein geliebtes Paradigma aufgeben: Der eigene Schreibtisch ist eigentlich heute schon ein Ding der Vergangenheit.
Kaktus und Hundebild zurück ins Home Office
In einem Gespräch mit Thomas Köhler, Projektleiter bei GRAEF, erfahre ich, dass der Trend weg vom persönlichen und ausschließlich von einer Person genutzten Schreibtisch geht: „Ja, der Kaktus und das Hundebild am Schreibtisch, das war gestern. Was wir machen und die Erfahrung, die wir in Büros machen ist, dass die Personalisierung im intimem Teambereich stattfindet. Da gibt es Team-Pinwände, im sogenannten ‚halböffentlichen‘ Raum. Oder eine Filztasche, die jeder Mitarbeiter bekommt, in der die persönliche Tastatur drinnen ist und die Mouse und das Headset – und vielleicht auch das Foto vom Hund und ein kleiner Kaktus. Das ist die neue Fläche für die individuelle Identifikation.“
Früher war den Leuten ihr eigenes Auto wichtig – das braucht man heute nicht mehr. Jetzt nutzt man Carsharing, unter dem Motto: „Nutze das Auto nur dann, wenn du es brauchst. Fast alle Leute in der Arbeitswelt, mit denen ich zu tun habe, denken, es ist gut, nichts zu horten.“
Eintrittsregeln in Büros
Die Büros wollen die Menschen zurück in den Firmen sehen – aber bloß nicht alle auf einmal, zumal wir uns inzwischen in der viertel Welle befinden. Ab 1. November tritt in Österreich die 3G-Regel am Arbeitsplatz in Kraft. Wenn am Arbeitsort ein physischer Kontakt zu anderen Personen erfolgt, dann braucht es bis auf weiteres einen Impf-, Genesungs- oder Testnachweis. Das gilt fürs Arbeiten am Schreibtisch, den Aufenthalt an der Kaffeemaschine, den Besuch auf der Toilette – überall dort, wo ein Kollege vorbeikommen könnte. Die Zügeln werden im Nachbarland, wo die Zahl der Infizierten steil nach oben geht, stark angezogen: Zwei Wochen nur wird eine Übergangsfrist gewährt: All jene ohne 3G-Nachweis müssen bis dahin durchgehend im Büro eine FFP2-Maske tragen, sonst drohen hohe Geldstrafen. Für die Einhaltung der Maßnahme sind beide Seiten - sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer - verantwortlich. Und Stichproben finden unangekündigt statt.
Im Vergleich zu anderen Ländern, ist Deutschland im Moment noch weit von einer 3G-Pflicht am Arbeitsplatz entfernt. Wie oft sich Beschäftigte testen lassen müssen und ob es Alternativen zum Testnachweis geben wird, könnten die einzelnen Bereiche derzeit selbst entscheiden. Eine Testpflicht gibt es bereits in Bayern, Baden-Württemberg, Bremen und Berlin – allerdings gibt es Unterschiede, wie die Regelung in den einzelnen Ländern umgesetzt wird.
Risiken von Home Office
In der dunklen Jahreszeit fühlt sich die Arbeit von zu Hause nicht so cool an. Der Glanz des Neuen, das ob der Flexibilität so attraktiv wirkte, ist mittlerweile bei vielen verblasst. Der Zustand der „Zoom fatigue“ oder „Teams Weariness“ – zwei dieser trendigen Pandemie Wörter, zusammengefasst als Video-Müdigkeit - breitet sich aus. Die Arbeitsbedingungen beim hybriden Arbeiten so einzurichten, dass es zu keinen neuen psychischen Belastungen 2022 kommt – das gilt es für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichzeitig zu bewältigen.
Auffällig in Home Office Studien ist, dass die Verantwortung in Bezug auf Selbstdisziplin und Zeitmanagement oft auf die Beschäftigten selbst verlagert wird. Es bedarf fortwährender Mitbestimmungsprozesse, um die entstehenden Konsequenzen aus dem Home Office beziehungsweise der mobilen Arbeit im Blick zu behalten, d.h. Beschäftigte bei Beförderungen oder Weiterbildungen nicht „vergessen“, wenn sie nicht mehr anwesend sind. Es gilt auch zu beachten, dass sich die Arbeitsaufgaben nicht mehren, weil über die Grenzen der Arbeitszeit hinweg gearbeitet wird.
Wenn der Postmann zweimal klingelt
Darauf angesprochen, antwortet Thomas Köhler: „Wir sehen in der Zusammenarbeit mit unseren Kunden folgendes: Die einen finden es gut, wenn sie im Home Office sind, weil sie sich produktiv fühlen. Sie werden nicht abgelenkt. Gleichzeitig ist aber das, was fehlt, das Kommunikationsstiftende im Unternehmen. In unserem aktuellen Projekt arbeiten wir mit einem Marktforschungsunternehmen, die aus einer aktuellen Studie über Produktivität im Home Office berichteten. Diese nähme im Home Office zunehmend ab, weil man zu Hause leichter mit Dingen abgelenkt ist, die nicht arbeitsrelevant sind. Da läutet der Amazon Lieferant, die Katze kommt kuscheln und die Nachbarin bringt Kuchen vorbei. Wer im Büro ist und von Kollegen angesprochen wird, wird oft im Arbeitskontext abgelenkt. Ergo: Ablenkung, die im Büro passiert, ist arbeitsrelevant.
Ob die Produktivität durch Themen unterbrochen wird, die nicht arbeitsrelevant sind, hängt von der Arbeitsweise der einzelnen Person ab. Die Frage ist: Wenn die Ablenkung ‚positiver Natur ist‘, ist es fürs Unternehmensergebnis gut? Wir empfehlen einem aktuellen Kunden, seine Projekt- respektive Teamarbeitsbereiche mit 5-8 Leute so anzuordnen, dass die Mitarbeiter Raumabschnitte bekommen, wohin sie sich zurückziehen können und wo keiner vorbeigeht. Willst Du Ablenkung, gehst Du aus dem geschützten Bereich raus, dorthin, wo Dich die Kollegen ablenken. Wo Du Deinen Kopf freikriegst und plaudern kannst. Das kann die Teeküche oder ein Gemeinschaftsraum sein. Wer jedoch einen geschlossenen, akustisch abgetrennten Bereich braucht, kann sich in so einem Raum einigeln.
Die Arbeitszeit der Zukunft
Wir werden uns in eine Halbtagesgesellschaft verwandeln. Ältere Menschen streben kürzere Arbeitszeiten an und auch viele junge Menschen werden im Jahr 2050 nur noch 20 bis 30 Std. pro Woche arbeiten. Die Mitarbeit in mehreren Projekten verschiedener Unternehmen pro Tag ist vorstellbar. Der flexible Arbeitsalltag an einem flexiblen Arbeitsplatz wird zur Normalität werden. Arbeitsklima und Leistung sollen sich dadurch verbessern. Experten gehen davon aus, dass der Anteil der Festangestellten an allen Beschäftigten sinken wird: von heute etwas über 70% auf bis zu 30% im Jahr 2050. Voraussetzung einer solchen „Selbst-Verantwortungs-Gesellschaft“: Arbeitnehmer sind in allen Bereichen für sich selbst verantwortlich, für die eigene Arbeitsweise, die eigene Arbeitszeit und eigene Qualifikation.